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In memoriam Manfred Pohl
(13. Juni 1943 – 30. März 2015)


Manfred Pohl war durch und durch Hamburger: verwurzelt im Norden, zugleich weitgereist und weltgewandt. Aufblühend in seinem Garten in Langenhorn und doch stets angetrieben von der Neugierde auf neue Perspektiven, seinen Blick zielgerichtet auf alles, das jenseits der Grenzen des Bekannten lag. Seine feste Erdung und seine dynamische Wissbegierde haben ihn in ihrem Zusammenwirken zu dem Wissenschaftler werden lassen, der er war. Ein Pionier, einer der die Grenzen seines Fachs, der Japanologie, auf der Grundlage einer umfassenden Ausbildung zu erweitern suchte. Dies gelang ihm in unvergleichlicher Manier. Manfred Pohl prägte das Feld der sozialwissenschaftlichen Japanforschung nachhaltig. Er erschloss es gewissermaßen und machte es für die nachfolgenden Wissenschaftlergenerationen zugänglich.

Nach seinem Abitur am Gymnasium im Alstertal begann Manfred Pohl 1965 mit dem Studium der Japanologie, Geschichte, Politikwissenschaft und Sinologie an der Universität Hamburg. Er promovierte 1973 bei Oscar Benl mit einer Arbeit über „Die Bauernpolitik der Kommunistischen Partei Japans (1922–1928)“ (Mitteilungen der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens e.V., 1976). An die Zeit als Assistent am Seminar für Sprache und Kultur Japans der Universität Hamburg (1973–1975) schloss sich seine Laufbahn als wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde (IfA), ebenfalls in Hamburg, an. Seine Tätigkeit am IfA, dem Vorläufer des heutigen GIGA Instituts für Asien-Studien, erstreckte sich über zwei Dekaden (1975–1994), in denen Manfred Pohl durch sein intensives Engagement in der Politikberatung und der Medienarbeit das deutsche Japanbild maßgeblich bestimmte. Neben der Politik und Wirtschaft Japans zählten zu seinen dortigen Tätigkeitsbereichen auch die Politik und Wirtschaft Singapurs, der beiden Koreas sowie Japans internationale Beziehungen zur ASEAN. Nach seiner Berufung auf die Professur für Staat, Politik und Gesellschaft Japans an der Universität Hamburg im Jahr 1994 setzte er sein Engagement für den Wissenstransfer in Politik und Öffentlichkeit unermüdlich fort. Zugleich widmete er sich, auch noch weit über seine Emeritierung im Jahr 2008 hinaus, mit Leidenschaft und stets einer Spur von Humor der Ausbildung des (wissenschaftlichen) Nachwuchses. Im Jahr 2011 wurde Manfred Pohl in Anerkennung seiner Verdienste um die Japanforschung und den japanisch-deutschen Wissenschaftsaustausch von Seiner Majestät Kaiser Akihito der „Orden der Aufgehenden Sonne am Halsband, Goldene Strahlen“ verliehen.

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen zeugt von seinen Verdiensten um die Japanforschung. Stellvertretend seien hier genannt der Länderband „Japan“ (Hg., Thienemann 1986), der Länderband „Korea“ (Hg. mit Rüdiger Machetzki, Thienemann 1988), die aktuelle Länderkunde „Japan“ (C.H. Beck, 1. Auflage 1991), der „Länderbericht Japan“ (Hg. mit Hans Jürgen Mayer, Bundeszentrale für Politische Bildung, 1. Auflage 1994) und die „Geschichte Japans“ (C.H. Beck, 1. Auflage 2002). Seine Bücher wurden weit rezipiert; die „Geschichte Japans“ zum Beispiel, die die Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.10.2002, S. 43, Steffen Gnam) einst als „pointierte[n] Schnelldurchgang ohne Fisimatenten“ pries, erschien erst 2014 in ihrer 5. aktualisierten und erweiterten Auflage. In Kollegenkreisen wurde das ein oder andere Mal darauf hingewiesen, dass Manfred Pohls Publikationen mit ihrem überblicksartigen Charakter „Mut“ erforderten; so zum Beispiel von Erich Pauer in einer Buchrezension zur aktuellen Länderkunde „Japan“, erschienen in Japan aktuell (1992, April/Mai, S. 37). An derselben Stelle heißt es weiter, die Länderkunde sei „eine facetten- und faktenreiche, flott und handfest geschriebene Einführung, die ihrem Auftrag, einen ersten Einblick in die japanische Landeskunde zu vermitteln, voll gerecht wird“, auch wenn „[d]ie Puristen unter den Japanologen [...] beim Anblick dieses Buches vielleicht wieder die Nase rümpfen [werden], wagt es hier doch der Autor, sich in die sogenannten ‚Niederungen’ der populären Japandarstellung zu begeben“. Mit seinem dezidierten Anspruch auf eine Anwendbarkeit seiner Publikationen forderte er in der Tat so manchen „Puristen“ des Fachs heraus. Er tat dies wohlüberlegt. Der Verfasserin dieses Textes sagte er einmal: „Ich schreibe für die deutsche Öffentlichkeit. Sie ist mein Publikum“.

Manfred Pohl war zudem Gründungsherausgeber der IfA-Zeitschrift „Japan aktuell“ (ab 1993), die analytische Beiträge ebenso aufnahm, wie sie auch den Leitgedanken des „Kagami“, an dem er ebenfalls redaktionell beteiligt gewesen war, wieder aufgriff. Dieser „Japanische Zeitschriftenspiegel“, dessen Anfänge auf das Jahr 1962 zurückgehen, hatte es sich zum Ziel gesetzt, durch Übersetzungen ausgewählter Beiträge japanischer Printmedien der deutschen Öffentlichkeit „einen Eindruck von den aktuellen Lebensfragen Japans“ (Kagami 1962, 2, S. I, Vorwort des Hg. Robert Schinzinger) zu vermitteln. In seinen zahlreichen Publikationen, auch gerade in den populärwissenschaftlichen, blieb der Transfer des Wissens um die gegenwärtigen Entwicklungen Japans stets ein Anliegen Manfred Pohls. So fand er als Autor in Zeitungen und als Diskutant in Radio und Fernsehen eine weitere erfüllende Rolle. Erst im April 2013 beispielsweise erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Die Lehrjahre des jungen Diktators“ seine scharfsinnige Analyse zum politischen Wandel in Nordkorea, einem Land, das er so gut wie nur wenige andere aus erster Hand kannte.

Besonderes Augenmerk soll dem Jahrbuch „Japan – Wirtschaft, Politik, Gesellschaft“ zuteilwerden, das Manfred Pohl bereits im Jahr 1977 begründete. Es etablierte sich rasch unter den Lehrenden und Studierenden der Japanologie, der sozialwissenschaftlichen Disziplinen und in der interessierten Öffentlichkeit als wertvolle Überblickspublikation zu aktuellen Entwicklungen Japans. Information, Analyse und Kontextualisierung – sie spiegeln sich im Format des Jahrbuchs. Man mag dieses „Dreigestirn“ auch als Manfred Pohls Anspruch an die zeitgenössische Japanologie verstehen. Das Japan-Jahrbuch wird mittlerweile unter dem Schirm der Vereinigung für Sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF) weiter betrieben; seit 2014 erscheint es im iudicium Verlag in München. Manfred Pohl verfasste bis einschließlich der Ausgabe 2014 nahezu alljährlich den Abschnitt zu den innenpolitischen Entwicklungen.

Der VSJF sprach er im Japan-Jahrbuch 2013 (S. 40–41) anlässlich ihres 25jährigen Jubiläums das Verdienst zu, die Japanforschung bunter gemacht zu haben, auch wenn er selbst, nach eigener Aussage, der Gründung der Vereinigung im Jahr 1988 skeptisch gegenüberstand. Damals, so Manfred Pohl, hatte er „die Universität [Hamburg] längst verlassen und glaubte, das endgültige Ende jener Lebensstrecke erreicht zu haben, die ich [M.P.] für eine bedrohliche Gefahrenzone akademischen Aquaplanings hielt, weit entfernt von Realitätsbezügen“. Er habe sich selbst damals als Vertreter einer Nachwuchsgeneration gesehen, in der nur Einzelne zu finden waren, für die „Texte […] vom Forschungsgegenstand zum Hilfsmittel [wurden], zum Werkzeug für politikwissenschaftliche, historiographische – ja auch: soziologische Ansätze“. Nicht nur lassen diese Passagen Manfred Pohls einzigartige Fähigkeit zur pointierten Zuspitzung seiner Gedanken erkennen, sie zeugen auch von seinem intensiven Ringen mit dem Fach. Er hielt an der Notwendigkeit einer umfassenden japanologischen Ausbildung, insbesondere an der zentralen Rolle der Sprachausbildung fest, und doch rief er zum Perspektivwechsel auf: „Vom Forschungsgegenstand zum Hilfsmittel“ sollten die Quellen werden. Die – in seinem Fall sozialwissenschaftliche – Disziplin sollte in den Vordergrund des Selbstverständnisses des Forschers rücken. Noch heute befände er sich mit dieser Positionierung im Zentrum japanologischer Debatten,und während der Hundertjahrfeier der Hamburger Japanologie im Dezember 2014 machte er genau dies nochmals deutlich. Diese Debatten um den Charakter des eigenen Fachs jedoch überhaupt mit angestoßen zu haben, zählt zu seinen großen Verdiensten um die Japanologie.

Sein Gedächtnis, so bescheinigen ihm alle, die ihn kannten, bewahrte eine unglaubliche Menge an Informationen, Namen und Ereignissen auf, die jederzeit abrufbar waren und die er auf eine ausgefallene, oft humorvolle Art miteinander zu verknüpfen wusste. Seine Vorträge und Vorlesungen waren ausdruckstark, unterhaltsam und garniert mit feiner Ironie – insbesondere dann, wenn er die Tiefen und Fallstricke des politischen Systems Japans analysierte. Zugleich basierten seine Aussagen auf fundiertem Wissen. Diese Qualitäten machten ihn zu einem gefragten öffentlichen Redner und einem beliebten Lehrer. Die Verfasserin dieser Zeilen, selbst eine Schülerin (eine „Doktortochter“) Manfred Pohls, erinnert sich noch genau an seine wunderbare Fähigkeit, auch die richtigen Fragen zu stellen. Fragen, die überaus inspirierend wirkten, neue Perspektiven eröffneten und nun schmerzlich vermisst werden müssen.

Manfred Pohl liebte die Literatur und die bildenden Künste. Seine malerische Begabung hat er wohl von seinem Vater, einem Steinmetzmeister, geerbt. Er zeichnete viel und malte gelegentlich Aquarelle, sehr gerne auch Neujahrskarten. Sogar einen Stempel mit seinem japanischen Künstlernamen besaß er. Ein leidenschaftlicher Fotograf war er außerdem, mit einem scharfen Blick für das Schöne, das Ungewöhnliche und das Lächerliche. Sein Fotoarchiv gibt Zeugnis von verschiedensten Orten Europas und Asiens seit den 1960er Jahren, die er auf seinen zahlreichen Reisen besuchte. Bis zuletzt war er mit großer Neugier in den entlegensten Winkeln der Welt unterwegs. Er interessierte sich für Stadtentwicklung und Architektur und war ein politisch wacher Mensch mit einer offenen Nähe zur Sozialdemokratie. Wie passend, dass er in einer nach Fritz Schumacher benannten Genossenschaftssiedlung wohnte!

Manfred Pohl war im Privaten wie im Beruflichen ein Hamburgischer Kosmopolit, den Blick stets auf den Horizont gerichtet. Vor allem aber war Manfred Pohl ein Familienmensch. Ein präsenter Vater, der nach dem plötzlichen Tod seiner Frau den gemeinsamen Sohn alleine großzog. In den letzten Jahren dann genoss er seine neue Rolle als liebevoller Großvater. Er kümmerte sich viel um andere und manchmal ahnte man die Gefahr, dass er dabei sich selbst vergessen könnte.

Am 30. März 2015 verstarb Manfred Pohl in Hamburg. Viel zu früh.

Gabriele Vogt




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