Mit Prof. em. Dr. Bruno Lewin ist am 18. Juni 2012 einer derjenigen Gelehrten verstorben, die sich im 20. Jahrhundert die größten Verdienste um das Studium der japanischen wie auch der koreanischen Sprache im Westen erworben haben. Zum 1. Januar 1964 als der erste Professor des damaligen Ostasieninstituts und einer der ersten Professoren überhaupt an die neu gegründete Ruhr-Universität Bochum berufen, hat Prof. Lewin als Gründungsmitglied der späteren Fakultät für Ostasienwissenschaften nicht nur den Schwerpunkt Sprache und Literatur Japans, sondern auch die Etablierung der Koreanistik maßgeblich mitgestaltet. Die Begründung der seit 1969 bestehenden Partnerschaft mit der Universität Tōkyō, die nicht wenige renommierte japanische Wissenschaftler nach Bochum führte, verdankt ihm die Universität ebenso wie den Aufbau des Japonicums (ab 1981) am Landesspracheninstitut, in dessen Direktorium er auch bis 1991 Mitglied war. Aus der Perspektive der Fakultät besonders hervorzuheben ist hier auch sein unermüdlicher Einsatz zur Etablierung einer umfassenden Ostasienbibliothek – wobei es sogar heißt, er sei, ausgestattet mit erheblichen Mitteln, nach Japan gefahren und habe dort die Antiquariate in einem Ausmaß leergekauft, dass die Preise vor Ort sprunghaft in die Höhe gingen.
Als Träger des von der japanischen Regierung verliehenen Verdienstordens Zuihōshō (Verleihung 1996) hat uns Prof. Lewin ein monumentales Werk hinterlassen, das sich über nicht weniger als ein halbes Jahrhundert erstreckt und bis in die Zeit nach seiner Emeritierung im Jahre 1989 hineinreicht. Inhaltlich ist es breit gefächert und reicht von Sprachlehrwerken über Referenzwerke verschiedenster Ausprägung oder Beiträgen hierzu bis hin zu zahlreichen Einzelstudien, bei denen oft – allerdings auch bei weitem nicht durchgehend – Sprache und Literatur im Mittelpunkt stehen.
Als studierter Slawist hatte Prof. Lewin in der Frühphase seines Schaffens zwar auch Lehrwerke für die russische Sprache verfasst, besonders hervorzuheben hinsichtlich ihrer Bedeutung sind allerdings ihre Pendants zum Japanischen und Koreanischen, die über Jahrzehnte hinweg Neuauflagen erfuhren, was auf beeindruckende Weise ihren bleibenden Charakter bekundet. Prof. Lewins Abriss der japanischen Grammatik auf der Grundlage der klassischen Schriftsprache (1959, ²1975, ³1990) etwa leistet ein halbes Jahrhundert nach Erstpublikation noch immer (nicht nur) vielen Studierenden treue Dienste und auch die dazugehörige Japanische Chrestomathie von der Nara-Zeit bis zur Edo-Zeit (1965) ist bis heute unersetzt. In beiden Fällen darf man wohl ohne Zögern von Meilensteinen der deutschsprachigen sprachbezogenen Japanologie sprechen.
Da bei Prof. Lewin auf Seiten des Japanischen neben der Gegenwartssprache ebenfalls die vormodernen Sprachstufen eine umfassende Berücksichtigung erfuhren, ist es nur folgerichtig, wenn dies in ähnlichem Maße auch für das Koreanische zutrifft. Prof. Lewin hatte bereits mit seiner Morphologie des koreanischen Verbs (1970) und der Einführung in die koreanische Sprache (1974, ²1976, ³1978, ⁴1997) ganz wesentliche Impulse für die Beschäftigung mit dem Koreanischen gegeben. Seine 1977 als Geschichte der koreanischen Sprache veröffentlichte Übersetzung des einflussreichen Abrisses der koreanischen Sprachgeschichte von Lee Ki-Moon (Kugŏsa kaesŏl, erstmals 1961) – die im Übrigen lange Zeit nicht nur eine der äußerst wenigen Übertragungen des Werkes insgesamt war neben derjenigen ins Japanische durch Fujimoto Yukio (Kankokugo-no rekishi, 1975), sondern bis in das vergangene Jahr 2011 hinein auch die einzige westlichsprachige Bearbeitung dieses Klassikers überhaupt – stellt jedoch ein ganz besonderes Verdienst dar. Entsprechend viel zitiert ist dieses Monument der koreanischen Linguistik im Westen dann auch über Jahrzehnte hinweg.
Prof. Lewin hat hierüber hinaus nicht nur zahlreiche Einträge für Nachschlagewerke und Handbücher verfasst – von der Brockhaus Enzyklopädie über Standardauskunftsmittel zu Japan wie der Encyclopedia of Japan (1983) und dem Japan-Handbuch (1981, ²1984, ³1990) bis hin zu Spezialwerken wie Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie (1991) oder dem Lexicon Grammaticorum (1996, ²2009) – und so nachhaltig für die Bereitstellung fundierten Wissens für ein Fachpublikum in- wie außerhalb der eigenen Disziplin(en), ja auch für ein allgemeineres Publikum gesorgt. Überdies hat er sich selbst als Herausgeber und Hauptverfasser des Kleinen Wörterbuches der Japanologie hervorgetan (1968, ²1981, ³1995). In eine ähnliche Richtung geht seine Herausgeberschaft des Sammelbandes Sprache und Schrift Japans (1989) als Teil des renommierten Handbuches der Orientalistik, der in seinem Bereich nach wie vor grundlegend ist.
Prof. Lewin hat mit seinem hier skizzierten Schaffen einen Dienst an den Ostasienwissenschaften und über diese hinaus geleistet, der schwerlich zu imitieren ist. Parallel hierzu ist in vielen Einzelarbeiten ein so breites wie tiefschürfendes wissenschaftliches Werk von bleibendem Wert entstanden. So widmete sich Prof. Lewin wiederholt etwa den sprachlichen Beziehungen Japans mit Korea, sei es im Bezug auf koreanische Sprachfragmente im frühen japanischen Schrifttum (1980) oder etwa auf Chosŏn-zeitliche Japanischlehrwerke (1971), wie auch überhaupt der Genealogie der japanischen Sprache. Gleichzeitig demonstriert bereits seine Habilitationsschrift Aya und Hata. Bevölkerungsgruppen Altjapans kontinentaler Herkunft (Veröffentlichung 1962), dass sich hier keinesfalls ein einseitig linguistisch ausgerichtetes Interesse auf den Themenkomplex dieser Beziehungen richtete. Beispielhaft sei auch an mehrere wichtige Beiträge zur Forschungsgeschichte des Japanischen in Europa erinnert (etwa u.a. 1990 zu August Pfizmaier [1808–1887], 1999 zu Andreas Müller [1630–1694]). Nicht zuletzt finden sich unter Prof. Lewins unzähligen Veröffentlichungen auch Übersetzungen aus dem Japanischen und Klassischchinesischen: Bereits für 1957 (²1993) ist hier die Übertragung von einem yomihon des Santō Kyōden (1761–1816) zu verzeichen, vor allem aber für 1962 die Teilübersetzung der Reichsannalen Shoku Nihongi (797) und Nihon kōki (840) innerhalb des Rikkokushi-Projektes.
Durchaus auffällig, wenn auch im Lichte von Prof. Lewins akademischer Ausbildung beinahe selbsterklärend, ist in vielen seiner Arbeiten die Tatsache, dass wo immer möglich russischsprachige Sekundärliteratur die ihnen gebührende Berücksichtigung findet – was alles andere als selbstverständlich ist, wie ein flüchtiger Blick auf nicht unwesentliche Teile der japanologischen Literatur in westeuropäischen Sprachen zeigt. Nicht selten fungierte Prof. Lewin auch hier gewissermaßen als Mittler.
Beeindruckend in jeder Hinsicht ist das Lebenswerk, das Prof. Lewin geschaffen hat. Seine eingangs skizzierten Verdienste im institutionellen Bereich werden nicht in Vergessenheit geraten. Gleichfalls dürften viele seiner Publikationen auch in den kommenden Jahrzehnten ihren Status als nahezu unentbehrliche Hilfsmittel schwerlich verlieren und können sich vielmehr der Wertschätzung auch zukünftiger Generationen von Studierenden und Lehrenden sicher sein. Zugleich demonstriert sein Gesamtwerk auf wohltuende Art und Weise auch, dass „Interdisziplinarität“ mehr als ein bloßes Modewort sein kann. —— Doch nicht nur sein wissenschaftliches Lebenswerk ist es, sondern auch sein allseits beliebtes bescheidenes Wesen und sein feiner Humor, womit Prof. Lewin sich selbst ein bleibendes Andenken gesetzt hat, das uns allen Vorbild und Ansporn zugleich sein möge.
Ein ausführliches Schriftenverzeichnis befindet sich zur Zeit im Aufbau – bis dahin sei jedoch abschließend auch auf die zweibändige Festschrift zum 65. Geburtstag und das darin bereits enthaltene Verzeichnis verwiesen (Bochumer Jahrbuch zur Ostasienforschung 12–13, 1989).
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